LOOX 22

Thomas Haemmerli | Zürich

'SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE'

Dokumentarfilm
Schweiz 2007
84 Minuten

im Vorprogramm läuft ein Kurzfilm
von Thomas Haemmerli:
'Dokumentarfilm: eine Anleitung'
Schweiz 1995
3 Minuten

Am Freitag, 21.11.2008 ab 20.30 Uhr
in der Wacker Galerie



Zum Inhalt von 'Sieben Mulden und eine Leiche':

Wie sollen und dürfen Kinder mit dem Nachlass ihrer Mutter umgehen?
Thomas Haemmerli erreicht die Nachricht vom Tod seiner Mutter an seinem
vierzigsten Geburtstag. Der nächste Schock ist die komplett vermüllte
Wohnung der Verstorbenen, die offensichtlich über Jahrzehnte eine Unmenge
an gebrauchten und wertlosen Dingen angesammelt hat.
Was folgt, ist eine der furiosesten Aufräumaktionen in der Geschichte des
Familienfilms. Einen Monat lang räumen Thomas und sein Bruder Erik den
Nachlass ihrer Mutter auf und legen unter all dem Müll ihre eigene
Familiengeschichte frei. Aus alten Super-8 Aufnahmen entsteht eine kuriose
Familiensaga, in der Baronessen und Grafen, Schürzenjäger und Festnudeln
sowie der junge Kofi Annan eine Rolle spielen.

Schonungsloser als sie es sich vielleicht gewünscht hätte, erzählt Haemmerli
die Lebensgeschichte seiner Mutter und beantwortet damit die Frage, was die
ltern den Kindern, vor allem wenn sie Filmemacher sind, hinterlassen sollten,
auf eine sehr humorvolle und ironische Weise – nämlich besser nichts.



Bruna Haemmerli | Mutter

Anmerkungen des Regisseurs Thomas Haemmerli:

Ich hatte viele Leute für meinen vierzigsten Geburtstag eingeladen, als mich
die Nachricht vom Tod meiner Mutter erreichte. Wir hatten nur wenig Kontakt,
und ich war schockiert, als ich ihre Wohnung sah. Es war das totale Chaos.
Schon beim ersten Betreten der Wohnung schaltete ich meine Kamera ein. Ich bin
in Medienprofi und reagiere automatisch, wenn ich etwas Außergewöhnliches sehe.
Der professionelle Zugang half mir, Distanz zu halten.



Thomas Haemmerli

Mein Bruder und ich hatten geahnt, dass die Wohnung eher chaotisch wäre,
was wir aber antrafen, überstieg unsere schlimmsten Befürchtungen. Wie die
meisten Messies setzte unsere Mutter Himmel und Hölle in Bewegung, um nie
jemanden in ihre vier Wände zu lassen. Während eines Monats räumten wir
die Wohnung auf und arbeiteten uns durch die Materialberge. Wir fanden
viele Zeugnisse aus der Familiengeschichte: Fotos, dieb bis in die 1880er
Jahre zurückreichen. Filmmaterial aus den 1930ern und 1940ern, und alles,
was meine Mutter ab den 1960ern gedreht hatte.



Das ungewöhnliche Material war der Ausgangspunkt für den Film:
ca. siebzig Jahre Familiengeschichte und die Möglichkeit, in der Wohnung
zu drehen, ohne dass Angehörige ein Veto einlegen.

Thematisch war mein Ausgangspunkt die Zumutung, einen Monat meines Lebens
damit verbringen zu müssen, diese vermüllte Wohnung aufzuräumen. Deshalb
ist die Geschichtem auch aus meinem Blickwinkel erzählt. Beim Räumen suchte
ich nach Hinweisen, was bei meiner Mutter schief gegangen sein mochte.
Dabei beschränkte ich mich auf das Material in derm Wohnung.



Daraus haben sich zwei Handlungsstränge ergeben.
Erstens der Kampf gegen das Chaos, bei dem die Wohnung zunehmend leerer
und sauberer wird. Zweitens die Geschichte der Familie, die immer
chaotischer wird.

Ich verabscheue hochsensible Selbstfindungen. Man soll einen Film machen,
wenn man jemandem eine Geschichte erzählen will, nicht um sich zu spüren.
Der Monat in der Wohnung und das anschließende Abenteuer mit den vierzig
Katzen in Griechenland haben sich bei mir im Laufe der Zeit in eine Folge
von Anekdoten verwandelt, die ich zuweilen an fortgeschrittenen
Abendgesellschaften zum Besten gab. Ich war immer der Auffassung, dass die
Geschichten, die man an einem lustigen Abend erzählt, auch die sind, die
man einem weiteren Publikum erzählen sollte. Das ist ein Grund, warum der
Film mit Humor arbeitet. Humor, Ironie und Spott sind für mich ganz generell
unabdingbar, um die Zumutungen des Lebens meistern zu können.
Ich kann nicht ohne, und das prägt meinen Film.



Formal trägt der Film die Handschrift meines Cutters Daniel Cherbuin, mit dem
ich seit vielen Jahren zusammenarbeite und mit dem mich eine Vorliebe für
schnelles, oft auch intuitives Erzählen sowie der Wille, nie zu langweilen,
verbindet. Am Schnittplatz hat mich Cherbuin bestärkt, die ganze
Familiengeschichte auszupacken und nichts unter den Tisch zu wischen. Dabei
ging es nicht nur darum, dass Ehrlichkeit den Film interessanter machen würde.
Sondern um meine Überzeugung, dass es zuweilen radikale Offenheit braucht,
wenn man sich adäquat ins Verhältnis setzen will, zu großen Themen wie dem Tod,
der Beziehung zwischen Kindern und Eltern oder der Frage, wie man leben soll
und was ausgangs bleibt.
Zürich, 22. Februar 2007



Thomas Haemmerli